Beitrag zur 954. Sitzung des Bundesrates
Beitrag des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich bei der Sitzung des Bundesrates am 10. März 2017 zum TOP 47 Netzentgeltmodernisierungsgesetz
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz hat seine Netzentgelte dieses Jahr, 2017, um 40 Prozent angehoben, die TenneT im Norden sogar um 80 Prozent.
Die Stromkunden in Ostdeutschland zahlen seit Jahren deutlich höhere Netzentgelte als die Verbraucher in den Versorgungsgebieten von Amprion und TransnetBW. Im Durchschnitt zahlen die ostdeutschen Stromkunden 4 Cent je Kilowattstunde mehr. Dies ist ein Aufschlag von 63% im Vergleich mit den anderen Versorgungsgebieten. Und die Schere geht weiter auf. Im Ergebnis sind die Übertragungsnetzentgelte bei TenneT und 50Hertz fast doppelt so hoch wie bei Transnet BW und fast zweieinhalbmal so hoch wie bei Amprion.
Die Ursache des Missstands ist die Energiewende. Die Regelzone 50Hertz – meine sehr verehrten Damen und Herren von Baden-Württemberg bis Niedersachsen, Sie dürfen alle zuhören – hat den europaweit höchsten Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung. Ein großer Teil dieses Stroms wird aber nicht in Ostdeutschland, sondern im Süden Deutschlands verbraucht. Der stockende Ausbau der Übertragungsnetze heißt: Haben wir mehr Wind- und Sonnenstrom als abfließen kann, müssen wir die Erzeuger kostenpflichtig abregeln. Gibt es andererseits zu wenig erneuerbaren Strom, müssen wir gegen Entgelt Reservekraftwerke zuschalten.
Damit bleibt das Stromnetz zwar stabil und garantiert Versorgungssicherheit für Deutschland, aber die Kosten dafür tragen weit überwiegend die Stromverbraucher von Hamburg bis zum Erzgebirge. Anders gesagt: Die Stromkunden im Norden und Osten werden finanziell dafür bestraft, dass ihre Regionen Vorreiter bei der Energiewende sind. Das ist das Gegenteil einer fairen Verteilung der Kosten der Energiewende.
Wir wollen diesen Zustand schnellstmöglich beenden. Er ist auch sachlich überhaupt nicht zu begründen. Wer möchte, kann mir anschließend gerne Argumente dafür liefern, warum es weiterhin unterschiedliche Netzentgelte geben soll. Einzelne Kostenbestandteile des Netzausbaus wie Erdverkabelung und Offshore-Anbindung werden bundesweit – auch im Gebiet von 50Hertz und TenneT – verrechnet, während die anderen Elemente ausschließlich durch die regionalen Stromverbraucher finanziert werden.
Steuern wir jetzt politisch nicht gegen, werden sich die Netzentgelte noch weiter auseinanderentwickeln, denn mit fortschreitender Energiewende werden Stromerzeugung und -verbrauch weiter auseinanderdriften. Die Erzeugung wird sich mit dem weiteren Ausbau der Windenergie und der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke immer mehr in den Norden und Osten Deutschlands verlagern. Gleichzeitig wird der Schwerpunkt des Stromverbrauchs auch künftig im Süden und Westen liegen. Wir brauchen daher schnellstmöglich ein bundeseinheitliches Übertragungsnetzentgelt.
Uns wird vorgerechnet, dass die Angleichung zum Beispiel für ein Stahlwerk in der Amprion-Regelzone einen Anstieg der Netzentgelte um fast 70 Prozent bedeutet – von gegenwärtig 5 auf dann etwa 8 Mio. Euro jährlich. Das ist nicht falsch, aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass ein vergleichbares Stahlwerk in der Regelzone von 50Hertz, zum Beispiel in Eisenhüttenstadt, aktuell über 10 Mio. Euro zahlt und damit mehr als doppelt so viel wie ein Stahlwerk in der Amprion-Regelzone, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, zahlt, und das schon jahrelang.
Mit der Angleichung zahlen beide Stahlwerke künftig gleich viel. Das schafft faire Wettbewerbsbedingunge. Gerade für strukturschwache ostdeutsche Regionen wird ein Nachteil, der systembedingt ist, abgeschafft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben bei den Bund-Länder-Finanzen insbesondere über die Strukturschwäche intensive Gespräche und Verhandlungen geführt. Diese Belastung kommt hinzu, sie verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit noch einmal deutlich.
Sachsen fordert die Bundesregierung auf, bis spätestens 31. August 2017 die entsprechende Verordnung zu erlassen, damit ab 1. Januar 2018 ein bundeseinheitliches Übertragungsnetzentgelt in Kraft treten kann.
Mehr noch: Die Bundesregierung hat den ostdeutschen Ländern mehrfach zugesagt, die Netzentgelte bundesweit fair zu verteilen. Bereits im Entwurf des Strommarktgesetzes und im ersten Referentenentwurf zum NEMoG hat die Bundesregierung eine entsprechende Verordnungsermächtigung für ein bundeseinheitliches Übertragungsnetzentgelt aufgenommen. Dieser Passus ist nachträglich und ohne Rücksprache mit den Ländern in den Regionen von 50Hertz und TenneT wieder gestrichen worden. Das stellt einen Vertrauensbruch dar.
Zudem ist es bemerkenswert, dass die Regierung eine Regelung, die sie selbst für erforderlich hält, nicht in ihren Gesetzentwurf aufnimmt, sondern dies dem parlamentarischen Verfahren überlässt. Nicht anders ist ja wohl das Antwortschreiben von Bundesministerin Zypries an die ostdeutschen Länder zu werten. Darin führt sie aus, dass die politische Diskussion dazu – ich zitiere aus ihrem Brief – »mit den Ländern sowie auch im Bundesrat und im Deutschen Bundestag sicherlich fortgeführt werden« wird.
Wir führen diese Diskussion heute an dieser Stelle. Nach unseren Berechnungen würde die Vereinheitlichung für die Stromkunden in zwölf Ländern zu einer Reduzierung der Netzentgelte führen. Ich bitte daher die Länder um möglichst breite Zustimmung zu unserem Antrag für ein bundeseinheitliches Übertragungsnetzentgelt.
Sehr geehrte Kollegen, gestatten Sie noch eine kurze Bemerkung zu Tagesordnungspunkt 63c) – »Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Energieregulierungsbehörden« –, der in einem gewissen inhaltlichen Zusammenhang mit diesem Thema steht. Ich möchte nicht noch einmal extra ans Mikrofon gehen; deswegen erlaube ich mir diesen Schwenk.
Wenn wir mit dem Ansinnen der Kommission konformgehen, würden wir zum Beispiel bei Fragen der Versorgungssicherheit unsere nationale Gestaltungshoheit weitgehend und unwiderruflich aus der Hand geben. Die Verantwortung für die Systemführung der Stromnetze läge dann nicht mehr bei uns, sondern bei dieser neuen Agentur. Wir können uns dann zwar Sorgen um die Sicherheit der Stromversorgung machen, entscheiden können wir aber nichts. Die alleinige Entscheidung läge bei der europäischen Agentur.
Gegenwärtig regeln wir das subsidiär in Deutschland, aber schon unter uns 16 Bundsländern ist es nicht immer leicht, mit dem Bund zu für alle Beteiligten fairen Lösungen zu kommen. Der Versuch, diese Dinge nicht nur für die 16 Bundesländern und den Bund, sondern für alle 27 Mitgliedstaaten zu regeln, macht es mit Sicherheit noch komplizierter, und dies, ohne dass unmittelbar die Sicherheit der Stromversorgung verbessert würde oder die Strompreise für die Verbraucher günstiger würden.
Ich empfehle daher zu Tagesordnungspunkt 63c) dringend, die Subsidiaritätsrüge, sowie zum Tagesordnungspunkt 47), unseren gemeinsamen Plenarantrag mit Sachsen-Anhalt zum NEMoG zu unterstützen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.