23.12.2016

Rede von Ministerpräsident Stanislaw Tillich zur 24. Weihnachtlichen Vesper an der Frauenkirche am 23. Dezember 2016

- Es gilt das gesprochene Wort -
 

Liebe Dresdnerinnen und Dresdner,

liebe Gäste unserer Landeshauptstadt,

liebe Zuhörer und Zuschauer zuhause,
 

ich freue mich, gerade in diesem Jahr wieder so viele Menschen hier auf dem Neumarkt zu sehen. Danke, dass Sie gekommen sind. Ein Jahr, in dem so viel von Spaltung in unserem Land die Rede war. Ein Jahr, das schreckliche Schatten geworfen hat: Von Hass und Gewalt.

In dieser Woche sind wir aus der Freude auf das Weihnachtsfest herausgerissen worden: Wir denken hier auf dem Dresdner Neumarkt besonders an diejenigen, die bei dem grausamen Anschlag in Berlin geliebte Menschen verloren haben. Wir bitten und beten für die Verletzten, dass sie schnell und vollständig genesen. Dass alle Wunden des Anschlags verheilen mögen.

Meine Damen und Herren,

lassen wir nicht zu, dass das Jahr 2016 Wunden in unserer Gesellschaft hinterlässt. Gerade jetzt geht es um ein friedliches Miteinander in unserem Land. Dafür steht die Frauenkirche in besonderer Weise.

Gerade jetzt stehen wir zusammen und leben unser freiheitliches, demokratisches Leben wie wir es gewohnt sind. Aufgabe des Staates ist es, dafür Sicherheit zu bieten. Aufgabe von uns allen ist es, uns immer und überall von Mitmenschlichkeit leiten zu lassen. Und gerade jetzt verteidigen wir unsere Werte und unsere Kultur. Dazu gehört das Weihnachtsfest. Dazu gehört die gemeinsame Freude und das gemeinsame Feiern der Geburt Christi.

Und wenn wir morgen in unseren Familien vor dem Christbaum zusammenkommen, dann mögen wir uns darauf besinnen, was Weihnachten bedeutet. Es geht um die Menschwerdung Gottes und darum, wie wir Menschen miteinander umgehen.

Beim Nachdenken über die vergangenen Monate half mir auch, was mein Namensvetter, der evangelische Theologe Paul Tillich, vor mehr als einem halben Jahrhundert gesagt hat, als er 1962 den Friedenpreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm. Paul Tillich hat sich sein Leben lang mit dem Thema Grenze und Grenzüberschreitung beschäftigt. Und er hat damals sinngemäß gesagt: Erst da, wo wir

persönliche Grenzen überschreiten, wo wir auf andere Menschen zugehen, wo wir uns anderen Kulturen öffnen, da erst entfalten wir unser ganzes menschliches Potenzial. Solche positiven Grenzüberschreitungen bereichern unser Leben. Und gerade zu Weihnachten rücken sie wieder in den Mittelpunkt.

Christus, dessen Geburt wir feiern, hat in einer Gesellschaft, der es an Solidarität mangelte, über die Nächstenliebe gepredigt. Er hat mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter deutlich gemacht: der Nächste – das ist gerade auch der Fremde, der Ausländer, der Andersgläubige. Christus überschritt soziale Grenzen. Er setzte sich mit den Armen wie mit den Reichen an einen Tisch. Er hat sich denen zugewandt, die am Rande stehen. Er hat mit seiner Zuwendung den Aussätzigen und Blinden, den Kranken und Behinderten ein neues Leben geschenkt.

Christus hat damit gezeigt: Wo wir aus Liebe die Grenzen überschreiten, die wir selbst zwischen uns und anderen ziehen, da liegt auf unserem Leben ein Segen. Oder, mit Paul Tillich gesprochen: Da entfalten wir erst unser ganzes Potenzial als Menschen.

Ich bin deshalb sehr froh, dass es in Sachsen immer mehr Menschen gibt, denen genau das ein Anliegen ist. Sie zeigen, indem Sie Vorbilder sind, wieviel Mitmenschlichkeit in uns allen steckt. Sie verbreiten demokratische Haltung und Kultur. Sie ermöglichen Begegnungen mit Fremden. Sie fördern ein friedliches Zusammenleben. Sie helfen jungen Menschen, ihre Talente zu entwickeln, etwas Gutes aus ihrem Leben zu machen. Sie kümmern sich um Mitmenschen, die Hilfe und Zuwendung brauchen. Sie inspirieren dazu, sich für die Gemeinschaft, für das Gemeinwohl zu engagieren.

Von solchen Mitmenschen, die ihre persönlichen Grenzen im Namen der Mitmenschlichkeit überschreiten, kann eine Gesellschaft nie genug haben. Zugleich braucht es, wie der Landesbischof sagt, Begrenzung, Maßhalten, Selbstbeschränkung.

Ich wünsche uns für das kommende Jahr mehr von beidem. Mehr Maßhalten einerseits, mehr Über-sich-Hinausgehen, mehr Aufeinanderzugehen andererseits.

In diesem Sinne wünschen meine Frau und ich Ihnen ein gesegnetes Christfest, einen guten Jahresausklang, Zeit für Einkehr und Besinnung und ein friedliches Jahr 2017.

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