25.11.2016

Rede von Ministerpräsident Stanislaw Tillich zur Eröffnung der Jahreskonferenz Demokratie-Zentrum Sachsen am 25. November 2016 im Deutschen Hygienemuseum Dresden

Mir ist es wichtig, heute hier bei Ihnen zu sein. Seit zwei Jahren erleben wir, dass die Demokratie in besonderer Weise herausgefordert wird.

Sie ist nach wie vor stabil. Sie wird von einer überwältigenden Mehrheit nicht nur geteilt, sondern auch gelebt.

Demokratie ist auch erfolgreich: Die Wahlbeteiligung gerade bei Bundestagswahlen ist im internationalen Vergleich hoch. Bei Landtagswahlen ist sie in letzter Zeit auch wieder gestiegen.

Und die Wahlen zeigen: Die Bürger nutzen die Chance zum Wechsel, für neue Koalitionen aber eben auch für Kontinuität, wenn sie aus Sicht der Wähler gut ist.

Circa 80 Prozent der Stimmen gehen an Parteien, die sich fair, unter den Augen der Medien und demokratisch dem Wettbewerb um die besten Ideen für ein Bundesland oder Deutschlands Zukunft stellen. Aber: Bis zu 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sich nicht für diese Parteien entschieden. Und, wie bei uns in Sachsen zur Landtagswahl 2014 oder bei vielen Bürgermeisterwahlen bleiben 50 Prozent oder mehr der Wahlberechtigten zu Hause.

Meine Sorge ist, dass zu viele die Demokratie als etwas Selbstverständliches nehmen. Sie ist es aber nicht: Demokratie kann schnell eingeschränkt oder gar abgeschafft werden. Auch von denen, die einmal demokratisch gewählt wurden.

Diese Erfahrungen hat Deutschland leider mehrmals machen müssen. Das darf sich nicht wiederholen!

Wir müssen uns also um die Demokratie kümmern. Wir müssen für sie auch streitig diskutieren und entschlossen handeln.

Meine Damen und Herren,

genau das tun Sie in vielfältiger Weise. Die Staatsregierung unterstützt sie dabei. Wir haben Programme aufgelegt. Und wiederholt die finanziellen Mittel erhöht. Das Programm „Weltoffenes Sachsen“ hat heute doppelt so viel Geld zur Verfügung wie zu Beginn: Es sind 4 Millionen Euro. Sie wurden im neuen Haushaltsentwurf noch einmal aufgestockt.

Nimmt man Bundes- und Landesmittel zusammen, so stehen im kommenden Jahr über 8 Millionen Euro für Demokratie-Arbeit in Sachsen bereit. Für die Förderentscheidungen werden wir einen Beirat einberufen, damit die Mittel breit in der Gesellschaft und gleichzeitig zielgerichtet eingesetzt werden.

Meine Damen und Herren,

alleine kann eine Regierung nur wenig bewirken. Wir brauchen Partner. Wir brauchen Sie: Die Akteure vor Ort,

die nicht warten sondern zupacken.

Es braucht gerade in der politischen Bildung, in der Vermittlung und Verteidigung der Demokratie Menschen mit Haltung und der Kraft, dafür einzustehen. Genau solche Partner und Akteure sind Sie. Und dafür sage ich Ihnen allen ganz herzlich danke!

Mit dem heutigen Tag stellen wir das Demokratie-Zentrum Sachsen vor. Es ist ein Netzwerk, das Ihnen und den vielen Initiativen und engagierten Bürger eine Plattform bietet. Es soll helfen, unter einem gemeinsamen Dach nach den besten Lösungen zu suchen. Es soll Sie in Ihrer Arbeit unterstützen.

In Jugendtreffs, sozialen Projekten, Sportvereinen, bei der Feuerwehr, in unseren Städten und Gemeinden – überall nehmen Sachsen ihre Verantwortung für die Demokratie und den Zusammenhalt im Land wahr. Und sie sind dabei nicht alleine.

Die Staatsregierung unterstützt hierbei nicht nur finanziell und ideell damit wir gemeinsam erfolgreich sind.

Dazu gehört die Polizei mit dem Operativen Abwehrzentrum. Und auch die Justiz mit den entsprechenden Staatsanwälten.

Sie werden durch ein Expertengremium in die Arbeit des Demokratie-Zentrums eingebunden.

Sie stehen Ihnen damit als Ansprechpartner zur Verfügung.

Ja, wir haben gerade in den Bereichen von Sicherheit und Justiz aber auch in der Bildung frühere Entscheidungen korrigiert.

Wir haben verstanden, was zu tun ist. Wir stehen jetzt vor einer Dekade, in der es in Sachsen heißt: Mehr Lehrer, mehr Polizisten und eine bessere Ausstattung der sächsischen Justiz.

Das heißt auch, mehr Verteidiger und Vermittler für politische Bildung und demokratische Regeln. Wir wollen als Staat unseren Beitrag leisten, in Sachsen Demokratie, Toleranz und ein menschliches Miteinander zu stärken. Alleine schaffen wir es aber nicht. Deshalb wünsche ich allen, die sich im Demokratie-Zentrum einbringen: Den Erfolg, den wir alle brauchen!

Und ich wünsche mir, dass Sie eine breite Unterstützung vieler Sächsinnen und Sachsen erfahren.

Meine Damen und Herren,

vor einem Jahr sprach ich von der Verletzlichkeit der Demokratie.

Wie anstrengend Demokratie ist, dass sie jedem von uns etwas zumutet. Wir müssen um Mehrheiten kämpfen. Und wir erleben, dass unsere Meinung nicht immer mehrheitsfähig ist.

In einer Demokratie darf jeder im Rahmen von Recht und Anstand sagen, was er denkt, was ihm wichtig ist. Und es ist selbstverständlich, dass eine Mehrheit die Minderheit akzeptiert.

Opposition ist das Lebenselixier der Demokratie. Demokratie ist also ein wesentlicher Grund, warum wir friedlich, sicher und in stabilen Verhältnissen leben. Und zur repräsentativen Demokratie gehört, dass über Programm und Personen regelmäßig neu entschieden wird – unmittelbar und frei durch die Bürger.

So weit so gut. Und dennoch beginnen zu viele, mit der konkreten demokratischen Arbeit zu hadern. Es machen sich Abnutzungserscheinungen bemerkbar – siehe die niedrige Wahlbeteiligungen. Einer der Gründe kann übrigens in einem Verhalten von Politikern liegen. Wir haben uns leider eine Art der Auseinandersetzung angewöhnt, die teilweise vertrauensschädigend wirkt. Mir fällt kein anderer gesellschaftlicher Bereich ein, in dem sich gegenseitig so viele Vorwürfe an den Kopf geworfen werden, in dem der Umgang öffentlich so rau ist. Gelegentlich gehört Zuspitzung dazu, es heißt eben auch Wahlkampf – weil ich engagiert überzeugen will.

Und es gibt auch in der Wirtschaft einen harten Wettkampf. Aber mir ist noch nicht aufgefallen, dass die Vorstände der deutschen Automobilbauer oder gar die Vorstände innerhalb eines Autokonzern so miteinander öffentlich umgehen, wie es gelegentlich in der Politik passiert.

Und da wundern wir uns, dass die Menschen Vertrauen und Zutrauen in uns Politiker verlieren? Hier müssen wir wieder zu mehr Respekt und einem anspruchsvolleren Umgang miteinander kommen. Auf der anderen Seite brauchen wir auch wieder einen realistischen Blick auf das, was Politik leisten kann.

Die Erwartungen der Menschen an die Politik sind gewachsen.

Es gibt ein zunehmendes Anspruchsdenken, das die Möglichkeiten der Politik oder des Staats übersteigt. Gelegentlich habe ich den Eindruck, der Staat soll nicht den Rahmen für eine Gesellschaft setzen. Sondern wir werden für die individuelle Zufriedenheit jedes Einzelnen verantwortlich gemacht.

Aber ein Förderprogramm, das jeden glücklich macht, gibt es nicht.

Ich sage aber auch hier selbstkritisch: Es reicht nicht, sich um den Bau von Straßen und neuen Schulen allein zu kümmern.

Wir müssen uns fragen: Was hält die Gesellschaft aus?

Was macht die Seele Sachsens aus? Wir müssen den besonderen Biografien der Menschen mehr Raum geben und gemeinsam für eine starke, selbstbewusste Bürgerschaft Sachsens eintreten.

Denn wir erleben derzeit eine paradoxe Situation, das wurde im Sachsen-Monitor deutlich: Der großen Mehrheit in Sachsen geht es gut. Sie schätzen ihre eigene wirtschaftliche Situation zu 78 Prozent als gut bis sehr gut ein. Sie sehen optimistisch in die Zukunft und glauben mehrheitlich an gute Aufstiegschancen für ihre Kinder. Und doch müssen wir den Eindruck gewinnen, dass das nicht reicht. Dass die persönliche Zufriedenheit sich nicht auf die Gesellschaft als Ganzes auswirkt. Die Gesellschaft wird von einer knappen Mehrheit als ungerecht wahrgenommen.

Das darf aber nicht dazu führen, dass solche erschreckenden Antworten gegeben werden wie diese: Neun Prozent wären bereit, für die Durchsetzung eigener Ziele Gewalt anzuwenden. Das wären theoretisch 360.000 gewaltbereite Menschen in Sachsen.

Dies ist jenseits dessen, was man sich vorstellen kann. In einer aufgeklärten Gesellschaft dürfen solche Einstellungen keinen Platz haben. Es ist nicht zu akzeptieren, wenn etwas mehr als die Hälfte der Befragten angibt, die Bundesrepublik wird durch die Zuwanderung überfremdet. Denn sie stimmt weder für Deutschland –  mit unseren 82 Millionen Einwohnern. Und noch viel weniger für Sachsen. Sie ist nicht nur falsch. Die Aussage ist gefährlich. Denn Fremdenfeindlichkeit und eine gute Zukunft Sachsen schließen sich aus.

Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung. Dafür müssen wir offen sein und den qualifizierten Zuwanderern deutlich machen: Ihr seid uns willkommen! Wie wollen mit Euch die Gesellschaft gestalten.

Meine Damen und Herren,

solche Aussagen machen deutlich, dass eine gefährliche Saat des Populismus aufgegangen ist. Die Menschen glauben etwas,

das nicht der Wirklichkeit entspricht. Sie nehmen in einer komplexen Welt die einfachen Antworten dankbar an.

Ich frage mich schon, wie Menschen, die selbst die Diktatur erlebt haben und damit Unterdrückung und Bevormundung, zu solchen Einstellungen kommen.

Ich als Ministerpräsident und die gesamte Staatsregierung kümmern uns um Kritik, Sorgen und Ängste. Denn ich will, dass Menschen sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen. Sie sollen wissen: Die Tür steht offen, um von Populisten weg hin zu Demokraten zu gehen. Ein Stopp-Schild steht aber für die da, die Intoleranz, Hass und Fremdenfeindlichkeit predigen gar leben.

Ich habe es mehrmals deutlich gemacht und Sie kennen es aus Ihrer Arbeit: Ja, wir haben in Sachsen ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Und dies nicht erst seit gestern oder erst seit zwei Jahren. Und es ist größer als viele von uns wahrhaben wollten.

Wir müssen uns dabei auch kritisch fragen: Warum waren wir im Kampf dagegen in den vergangenen Jahren nicht erfolgreich genug? Im Polizeibereich haben wir schon seit den Ereignissen in Hoyerswerda die Soko Rex  zur Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität eingerichtet. Seit 10 Jahren haben wir das Programm Weltoffenes Sachsen. Haben wir damit immer die richtigen Leute angesprochen? Sind wir differenziert genug vorgegangen? Wir müssen wohl genauer hinsehen, wo wir die Förderung ansetzen, welche Angebote wir unterbreiten. Damit wir wirklich diejenigen erreichen, die wir in der demokratischen Mitte halten wollen, aber auch diejenigen, die wir von den gefährlichen Rändern des Extremismus in die Mitte der Gesellschaft zurückholen wollen.

Ich wünsche uns im Interesse und zum Wohle des Landes, dass Sie sich, dass wir uns dieser Reflektion erfolgreich stellen und wir besser werden. Im Kabinett haben wir uns darüber verständigt, dass wir eine Diskussion führen, was das Programm Weltoffenes Sachsen gebracht hat. Wir werden uns auch die Frage stellen, ob es das eine oder andere gibt, was man besser machen könnte.

Denn jeder Angriff, jeder Hass gegen Menschen anderer Herkunft, anderen Aussehens oder einer anderen politischen Meinung ist ein Angriff auf uns alle. Respekt und Toleranz, Frieden und Zusammenhalt müssen die Antwort sein.

 

Meine Damen und Herren,

wir müssen jeden Tag den Populismus entlarven. Dass ist vor allem eine Aufgabe, wenn wir auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr schauen. Auch die politischen Parteien haben nicht alles richtig gemacht. Wir müssen die Unterschiede der politischen Konzepte der Parteien wieder mehr herausarbeiten, verdeutlichen. Wir müssen kultiviert mit gegensätzlicheren Argumenten in den Wettstreit treten, um echte Alternativen und Vielfalt für eine demokratische Entscheidung zu bieten.

Auf der anderen Seiten müssen wir gemeinsam eine zweite Auseinandersetzung führen: Hier die Demokraten – dort die Populisten.

Meine Damen und Herren,

ich habe die Bitte, uns dabei zu unterstützen. Wir müssen über Politik und die praktische Demokratie wieder neu aufklären und sie erklären.

Wir müssen neues Vertrauen in die Demokratie und die demokratischen Institutionen schaffen.

Dass kann Politik nicht allein. Sie braucht Partner an der Seite, die dafür werben.

Meine Damen und Herren,

auch Sie sind solche Partner. Herzlichen Dank.

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