03.10.2020

Rede des Ministerpräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit im Sächsischen Landtag

Ein Mann hält eine Rede.
Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach im Zuge der Feierstunde im Sächsichen Landtag vom »Wunder der Deutschen Einheit« und dem 3. Oktober als dem vermutlich »glücklichsten Tag der deutschen Geschichte«. 
© Stephan Floss

Ministerpräsident Michael Kretschmer hielt anlässlich des 30. Jahrestages der Deutschen Einheit am 03. Oktober 2020 eine Rede bei der Feierstunde im Sächsischen Landtag

In seiner Rede sprach er über das »große Wunder der Deutschen Einheit« und blickte stolz auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre zurück. Gleichzeitig mahnte er aber auch an, dass man sich in der Zukunft für die Demokratie einsetzen müsse und dazu gehöre es nicht, Gruppierungen, die eine gesellschaftliche Spaltung vorantreiben wollen, zu tolerieren.

»Das große Wunder der Deutschen Einheit«

Rede von Ministerpräsident Michael Kretschmer

― Es gilt das gesprochene Wort ―

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, liebe Ehrengäste, meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Präsident des Landesverfassungsgerichts, liebe Ingrid und lieber Kurt Biedenkopf, liebe Kollegen aus dem Landtag, dem Bundestag, aus dem Kabinett, Herr Landesbischof.

Es ist vermutlich der glücklichste Tag der deutschen Geschichte, dieser 3. Oktober 1990, seit dem wir wieder vereint sind. Mit dem der 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit ein endgültiges Ende fand, Europa in einen neuen Frieden kam und wir dieses große Wunder der deutschen Einheit erleben konnten. Wenn man über Geschichte spricht und über Erinnerungen, dann ist das nie objektiv. Es muss subjektiv sein – jeder hat eine unterschiedliche Erinnerung. Und wenn Politik mit ins Spiel kommt, dann ist Geschichte ganz schnell auch politisch. Dann wird interpretiert, dann wird nicht nur die Vergangenheit beleuchtet, sondern sie wird in den aktuellen Kontext gesetzt, in dem sie jetzt auch stattfindet. Und deswegen sind solche Tage wie der heutige so wichtig und auch solch ein Festakt, an dem wir die Dinge noch einmal so aussprechen, wie wir sie gesehen haben und an dem jetzt schon über einen langen Zeitraum verschiedene Persönlichkeiten hier die Chance hatten, eine Rede halten zu können und damit Anregungen geben zu können für die aktuelle Debatte. Uns in Sachsen ist wichtig, dass wir immer wieder sagen: die DDR war ein Unrechtsstaat und wir ehemaligen DDR-Bürger wollten sie beenden. Und wir ehemaligen. DDR-Bürger wollten den Beitritt zur Bundesrepublik und wir wollten das Grundgesetz. Und wir sind nicht irgendwie übernommen wurden. Nein, wir wissen, wir hier im Osten sind die eigentlichen Gewinner der deutschen Einheit, meine Damen und Herren.

Es gibt ganz klar unterschiedliche politische Haltungen, die am Ende auch den Blick auf dieses Ereignis, auf das was davor und was in den vergangen 30 Jahren passiert ist, beleuchten. Aber wir hier wissen, dass die Planwirtschaft, dass der Sozialismus zu Unrecht führt. Wir haben erlebt in diesen vergangenen 30 Jahren, dass Freiheit, Demokratie, soziale Marktwirtschaft das bessere Konzept sind. Dass wir die Schäden der DDR, die entstanden sind durch diese Unfreiheit, in diesen 30 Jahren aufgearbeitet haben und deswegen wollen wir keine weiteren sozialistischen Experimente. Wir stehen für Freiheit, für Demokratie, für die soziale Marktwirtschaft, meine Damen und Herren.

Und wir wissen auch, dass es die Treuhand nur brauchte, meine Damen und Herren, weil der SED-Staat in den 40 Jahren zuvor, diese beeindruckenden Betriebe mit ihren fleißigen Frauen und Männern zugrunde gerichtet hat. Auch das ist eine historische Wahrheit.

Und jetzt hat der Herr Landtagspräsident Arnold Vaatz eingeladen. Einen Mann, der in der DDR im Gefängnis gesessen hat, der 1989/90 mit vielen, die heute gekommen sind, mutig Verantwortung übernommen hat. Der als erster Chef der Staatskanzlei, später als Umweltminister hier auch die Schäden der DDR mitbeseitigt hat. Die Elbe war ein toter, stinkender Fluss. Wir hatten viele Umweltsünden. Der im Deutschen Bundestag Verantwortung übernommen hat. Und dermittlerweile der letzte aktive Bürgerrechtler ist, der noch in der Bundespolitik richtig aktiv ist. Und ich will Ihnen sagen, meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Arnold Vaatz heute da ist. Ich wollte eigentlich in Potsdam sein. Und ich wäre da auch gewesen, um meinem Kollegen, Dietmar Woidke, zur Seite zu stehen. Mit dem wir viel in den vergangenen Monaten gemacht haben. Für die Braunkohleregionen und für den Strukturwandel, aber ich finde es unfair, wie die Sache jetzt in den letzten Wochen gelaufen ist. Und nicht nur das, was Sie und wir 1989 erkämpft haben, wofür die Menschen auf die Straße gegangen sind, wäre vergebens. Nein, alles, was wir im Bereich der politischen Bildung jeden Tag in den Schulen versuchen zu vermitteln. Wie wir in den Sportvereinen für Demokratie, für Meinungsfreiheit, für einen vernünftigen Diskurs versuchen zu werben und dafür einzustehen, wäre vergebens, wenn sich am Ende durchsetzen würde, dass wir uns nicht mehr gegenseitig zuhören. Dass wir so wenig Respekt vor einander haben, dass wir uns nur noch wegdrehen und nicht mehr hingehen und demjenigen, der auch eine andere politische Meinung hat, einfach nicht diesen Respekt zollen, dass wir miteinander reden. Deswegen bin ich heute hier, meine Damen und Herren.

Es ist das ganze Gegenteil von dem, was ich meine, was eine Gesellschaft lebenswert macht und was ein gutes Zusammenleben ermöglicht. Wir müssen es aushalten, dass es verschiedene Positionen gibt und wir müssen miteinander reden. Mann und Frau genug sein, auch die Kraft zu haben, zu argumentieren, sich miteinander auseinanderzusetzen.

Der Kollege Vaatz, und das fand ich fast schon rührend, hat mir im Vorfeld des heutigen Tages seine Rede geschickt. Und dann habe ich gedacht, jetzt wird er langsam eitel und will, dass ich seine Rede auch schon vorher lese. Und dann hat er mich angerufen und gesagt: „Lies sie mal durch und wenn irgendwas nicht in Ordnung ist, dann musst du es mir sagen.“ In seiner typischen charmanten, ruppigen Art. Ich habe sie gelesen und ich habe viele Stellen gefunden, wo ich merke, er ist mit mir nicht einverstanden und ich sehe das ganz anders als er. Aber ich habe ihn angerufen und gesagt, „ich möchte, dass du diese Rede genauso hältst.“ Denn wo kommen wir hin, wenn wir uns gegenseitig sagen, was nicht mehr zu hören ist? An jedem Gedanken dieser Rede ist ein Punkt, über den man nachdenken kann. Mit dem man sich auseinandersetzen kann. Und nur das wird uns eine gute Zukunft bringen, wenn wir genau dieses Verhältnis miteinander haben, meine Damen und Herren. Wir sind klug genug, alle miteinander, uns eine eigene Meinung zu bilden. Die Sachsen sind klug genug, die Deutschen dazu, dass haben sie in der Vergangenheit sehr genau gezeigt.

Eine Gesellschaft, die nur in Überschriften denkt, nur Haltungen und Bekenntnisse fordert, wird keine gute Zukunft haben. Jedes System, meine Damen und Herren, erodiert, wenn man sich nicht mehr um die Details kümmert. Und deswegen freue ich mich, dass wir in den vergangenen Jahren spannende Diskussionen hatten mit jungen Schülerinnen und Schülern auf den Klimakonferenzen, die wir selbst organisiert haben gemeinsam mit dem LandesSchülerRat. Und ich hoffe, dass weitere kommen. Wo junge Leute zusammenkommen, die Ideen haben, wie man dem Klimawandel begegnen kann, was wir gestalten können, was man auch selber tun kann, meine Damen und Herren. Im Bereich der Energiepolitik, der Mobilität, diese vielen Fragen, die vor uns stehen, braucht es Konzepte, braucht es junge Leute, die mit anpacken und die etwas bewegen.

Die kommenden 30 Jahre bieten die Chance, eine neue Epoche zu gestalten. Eine Epoche, die nicht nur fragt, was war gewesen in der DDR und mit der Wiedervereinigung. Sondern die zeigt, dass unterschiedliches politisches Handeln, unterschiedliche Wege auch zu verschiedenen Ergebnissen führen. Wir haben das übrigens hier in Sachsen in den vergangenen 30 Jahren genauso gemacht. Und ich möchte, dass wir diesen Weg weitergehen. Wir haben in der Corona-Krise die Möglichkeiten des Föderalismus genutzt und haben uns unsere Freiheiten genommen und fahren damit - glaube ich - richtig. Wir investieren in Forschung und Entwicklung, weil wir wissen, dass dort die Zukunft herkommt. Wir brauchen eigene Wege für die Fachkräftezuwanderung. Diese Chance haben wir, der Föderalismus gibt sie uns und wir sollten sie mit Kraft nutzen.

Die 30 Jahre, die aber vielleicht jetzt vor uns stehen, werden auch eine große Frage beantworten müssen. Nämlich die, meine Damen und Herren, ob das, was in den vergangenen ja fast schon Jahrhunderten das Dominierende war, die westliche Welt mit ihren Werten von Religionsfreiheit, von Toleranz, von Emanzipation und von Rechtstaatlichkeit, von Demokratie, ob die auch noch in 30 Jahren das dominierende, das erstrebende System in der Welt sind. Oder ob nicht andere – Chinesen, Inder, andere Regionen der Welt – mit ihren Vorstellungen des Zusammenlebens eine Wirkung haben. Und deswegen können wir mit Kraft sagen, wenn wir das wollen, dann müssen wir uns dafür einsetzen. Und wir wissen aus den Jahren der Wiedervereinigung, dass nur durch kluges politisches Handeln und eine Integration in Europa, in die westliche Welt, diesem Land die Chance gegeben hat, auch wieder vereint zu sein. Ja, wir brauchen die Europäische Union. Ja, wir brauchen die Nato als Bündnis. Wir setzen uns hier mit ganzer Kraft dafür ein, weil wir nur gemeinsam eine Chance haben, in dieser sich verändernden globalen Welt mit neuen Mächten. Und Sachsen muss da ein guten Ort sein, an dem weiter Zukunft gestaltet werden kann, meine Damen und Herren.

Wir sind hier zusammengekommen im Plenarsaal des Sächsischen Landtags, im Haus der Demokratie, wie der Landtagspräsident gesagt hat. Und ich möchte Ihnen, als Abgeordnete des Landtages, des Bundestages, aber auch gleichzeitig den vielen Frauen und Männern, die in der Kommunalpolitik ehrenamtlich engagiert sind, die sich wählen lassen haben, die sich in die Verantwortung haben nehmen lassen, den Bürgermeistern und Landräten, danken. Nur durch dieses Engagement können wir diese Demokratie leben und es ist eine große Chance, und sie ist in den vergangenen 30 Jahren mannigfaltig genutzt worden. Danke für dieses Engagement für unsere Demokratie, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir erleben allerdings auch seit einigen Jahren hier bei jeder Landtagssitzung, dass es eine politische Gruppierung gibt, die in ganz besonderer Weise spaltet, die andere herabwürdigt, die die Eskalation vorantreibt. Und meine Damen und Herren, ich frage mich wirklich ernsthaft: , warum stehen Sie nicht auf, begehren auf, wenn wirklich bekennende Rechtsextremisten in der eigenen Partei – Höcke, Kalbitz, andere – ihr Unwesen treiben, nach Sachsen eingeladen werden, hier hofiert werden? Wenn es einen Schulterschluss gibt mit einer Gruppe, die vergangenen Montag hier durch Dresden gelaufen ist und skandiert hat „Ausschwitzen, Ausschwitzen!“? Was ist hier los? Es muss doch, wenn man diese Biographien liest, einzelne Frauen und Männer geben, denen das nicht egal ist. Die sagen: „So kann es doch nicht sein!“. Zu unserer gemeinsamen Geschichte, zu dem, was wir in den 30 Jahren erlebt haben, gehört eben auch, dass jede und jeder eine Verantwortung hat für dieses Land, für die Demokratie, für die Art und Weise, wie wir zusammenleben. Und dazu gehört ein vernünftiger Umgang miteinander. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich die Attentäter in Halle, in Christchurch, in Oslo anschauen – es ist eine Linie, die immer damit beginnt, dass andere herabgesetzt werden. Wenn Sie sich anschauen, wer auf diesem Pamphlet steht – Juden, Muslime, moderne Christen, emanzipierte Frauen, und, und, und – wissen wir, wir alle sind damit gemeint und wir müssen denen entgegentreten, die einen solchen Weg vorzeichnen, meine Damen und Herren.

Wir leben, finde ich, im besten Deutschland, das wir je hatten. Es ist ein tolles Erlebnis, junge Leute zu sehen, die heute hier Abitur ablegen, die heute studieren, zusammen sind und sich in keiner Weise mehr als Ostdeutsch oder Westdeutsch identifizieren. Sondern als Sachsen, als Bayern, als Baden-Württemberger, als Europäer, als Deutsche. Es ist viel gelungen und wir haben allen Grund weiterzuarbeiten. Glück auf, Sachsen! Glück auf, Deutschland! Vielen Dank.

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