04.11.2020

Regierungserklärung »Füreinander Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln.«

Ministerpräsident Michael Kretschmer gab am 4. November 2020 im Sächsischen Landtag eine Regierungserklärung ab: »Füreinander Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln«.

»Füreinander Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln.«

Regierungserklärung von Ministerpräsident Michael Kretschmer

Vielen Dank, Herr Landtagspräsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es richtig, dass wir zu Beginn dieser Tagesordnung an einen großen Demokraten und Sachsen erinnert haben,

an den früheren Landtagsabgeordneten Cornelius Weiss. Auf der anderen Seite haben wir daran erinnert, dass in den vergangenen Tagen Menschen ihr Leben lassen mussten, weil sie von islamistischen Straftätern umgebracht worden sind. Das gilt hier für Dresden. Ich habe den Angehörigen, dem Lebenspartner des hier in Dresden Erstochenen kondoliert und – ich denke, auch in Ihrem Namen mein Mitgefühl ausgedrückt: Gleiches gestern gegenüber Sebastian Kurz und unseren Partnern in Österreich, in Wien.

Das, was dort passiert ist, ist ein Angriff auf uns alle, auf die Art, wie wir zusammenleben, auf unsere Werte, auf unsere Kultur, und wir stellen uns dem in aller Entschiedenheit entgegen. Es ist nicht die Frage von Muslimen auf der einen und westlichem Wert auf der anderen Seite, es ist die Unterscheidung, meine Damen und Herren, zwischen Barbarei und Zivilisation, zwischen Extremisten und Gewalttätern und friedliebenden Menschen. Das wollen wir auch am heutigen Tag und hier noch einmal deutlich sagen; denn wir wissen, dass es in Sachsen unglaublich viele Menschen muslimischen Glaubens gibt, die hier geboren und aufgewachsen oder die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind und hier eine Heimat gefunden haben.

Ich erinnere mich an einen türkischen Taxifahrer, der sein Geld damit verdient, hier in Dresden zu arbeiten, und mit mir auf der Fahrt diskutiert hat, wo denn sein Sohn, der so alt wie meine Kinder ist und jetzt aufs Gymnasium gehen soll, am besten hingeht, was für die Entwicklung des Kindes wohl das beste Gymnasium in der Landeshauptstadt für den Kleinen ist, der in Zukunft auch ein Dresdner sein wird. Ich erinnere mich an die Freunde aus der muslimischen Gemeinde, die mich im Frühjahr besucht haben. Wir haben darüber gesprochen, dass Gottesdienste nicht mehr möglich sind, und vollkommen klar und selbstverständlich haben diese muslimischen Mitbürger Verantwortung dafür übernommen, dass die Pandemie in Dresden, in ihrer neuen Heimat im Griff bleibt. Ich denke an diejenigen, die vor wenigen Tagen an der Stelle des Verbrechens auch für die muslimischen Bürger ein Blumengebinde niedergelegt und gesagt haben: Das ist nicht mit unserem Glauben zu vereinbaren.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, dass wir diese Trennung ganz klar ziehen und uns vor diejenigen stellen, die in der überwiegenden Anzahl friedliebend als Muslime in diesem Land leben und durch solche Extremisten in Misskredit gebracht werden. Wir lassen das nicht zu. Muslime leben in diesem Land, sie sind Teil unserer Gesellschaft und wir schützen sie, wenn sie in Misskredit gebracht werden.

Allerdings kann nach solchen Taten die Rede nicht einfach mit einem Bedauern und damit enden, dass man die Trennung zwischen Extremisten und anderen vornimmt, sondern dieses Land, Deutschland, muss die Kraft haben, sich der Sache so zu stellen, wie sie ist. Wir müssen alle in diesem Land schützen und in ganz besonderer Art und Weise diejenigen, die als friedliebende Muslime in unserem Land leben, aber auch alle anderen. Dazu gehört die Tatsache, dass derjenige, der als Flüchtling zu uns gekommen und straffällig geworden ist, vom Gericht bestätigt wird, dass er keinen Asylanspruch hat, sondern als Gefährder eingestuft ist und nicht in diesem Land bleiben kann. Wir müssen Möglichkeiten finden, diese Menschen zurück in die Länder zu bringen, aus denen sie kommen. Sollte das nicht möglich sein, darf die Antwort nicht darin bestehen, dass sich diese Personen frei bewegen können und man Polizisten hinterherschickt, die aufpassen. Beides geht nicht. Wir brauchen hier eine andere Antwort. Das sind wir allen schuldig, vor allem denjenigen, die gerade ums Leben gekommen sind, und denen, die um ihre Verwandten trauern.

Ich bin dem Sächsischen Landtag sehr dankbar, dass er sich dieser Debatte stellt. Wir haben im Zuge dieser Pandemie an vielen Stellen miteinander diskutiert. Es gab Anhörungen, es gab Debatten hier im Plenum. In jedem Ausschuss wurde über das Thema Pandemie gesprochen. Wir haben gemeinsam die Möglichkeiten genutzt, die die Sächsische Verfassung gibt, mit solchen Situationen umzugehen, und kurz vor Ostern gemeinsam einen Beschluss gefasst, dass der Freistaat Sachsen mit einem Kreditvolumen von maximal 6 Milliarden Euro die Möglichkeit bekommt, die finanziellen Folgen aufzufangen. Wir haben damals gemeinsam Verantwortung übernommen und diesem Land eine Richtung gegeben. Es ist uns zu Beginn der Pandemie gelungen, durch ein schnelles, entschiedenes Handeln die Infektionsketten zu unterbrechen, das Infektionsgeschehen in Deutschland, besonders hier im Freistaat Sachsen, auf ein sehr niedriges Maß zurückzudrängen. Das hat uns die Chance gegeben, in den Monaten danach hier in Sachsen viel mehr an Freiheit, viel mehr an gesellschaftlichem Leben, an kulturellem Leben, an wirtschaftlichem Leben zu ermöglichen, als es an anderen Stellen in Deutschland und in Europa möglich war.

Jetzt kommt eine neue Zeit. Das Infektionsgeschehen hat sich dramatisch verändert und wir entscheiden in diesen Tagen und Wochen hier in Sachsen und in Deutschland, wie die kommenden Monate vermutlich bis zur Mitte des nächsten Jahres verlaufen werden. Gelingt es uns noch einmal, das Infektionsgeschehen so deutlich zu reduzieren, oder werden wir einen Weg gehen, wie er in anderen europäischen Ländern gerade bestritten wird; beispielswiese in der Tschechischen Republik mit einer gewaltigen Inzidenz mit 13000 Ärzten und Pflegern, die derzeit am Coronavirus erkrankt sind und nicht zur Arbeit gehen können, oder in Polen, in einem Land, in dem derzeit 70 Prozent aller Betten in den Krankenhäusern belegt und drei Viertel der Beatmungsgeräte ausgelastet sind, die Zahl der Beatmungspatienten deutlich schneller steigt als die der verfügbaren Betten und Geräte.

Wir haben auch im Freistaat Sachsen eine erschreckend hohe Zahl von Neuinfektionen, 1000 Fälle innerhalb von 24 Stunden – eine Zahl, die wir uns vor fünf, sechs Monaten nie hätten vorstellen können. Wir haben 1000 Patienten, die in Krankenhäusern behandelt werden, 200 davon auf der Intensivstation, und wir haben gestern gerade im Landkreis Görlitz eine Verdopplung der Anzahl der Corona-Patienten innerhalb von 24 Stunden gesehen. Deshalb ist es Zeit, zu handeln. Wir dürfen die Möglichkeit nicht verwehren, jetzt noch einzugreifen und etwas dagegen zu tun.

Ich bin zu jedem Diskurs, zu jedem Gespräch bereit. Auch dafür sind wir gewählt. Aber, meine Damen und Herren, wir können nicht abwarten, bis in jeder Familie und in jedem Freundeskreis eines Kritikers selbst ein Corona-Fall ist. Wir müssen in dieser Pandemie aus Erkenntnis und nicht aus Erfahrung lernen. Wir haben bei der Spanischen Grippe gesehen, dass die erste Welle viel Elend gebracht hat. Danach waren die Menschen der Meinung, sie sei überwunden. Dann kam – und das ist genau das, was gerade in Deutschland passiert – die zweite Welle, viel größer, mit viel mehr Opfern, und deshalb ist es jetzt an der Zeit, zu handeln. Es ist wichtig, dass wir zu jedem Zeitpunkt in den Krankenhäusern, auf den Intensivstationen genügend Kapazitäten haben, dass es keine Selektionen zwischen den Personen, die behandelt werden können, und denen, die nicht behandelt werden können, geben muss. Meine Damen und Herren, es wäre furchtbar, wenn man einem Patienten, der an einem Tumor leidet, sagen muss, Sie können leider heute nicht behandelt werden, weil das ITS-Bett, das wir für Sie vorgesehen haben, über Nacht mit einem Corona-Patienten belegt worden ist. Diese Unterscheidung, dieses Ausspielen verschiedener Krankheiten, darf so nicht passieren. Aber es geschieht bereits heute.

Es gibt bereits heute für die Krankenhäuser im Freistaat Sachsen keine andere Möglichkeit mehr, diesen großen Aufwuchs an Corona-Erkrankungen zu händeln, als dass Eingriffe, die geplant und vorbereitet sind, wo die Patienten schon im Krankenhaus sind, verschoben werden. Deshalb ist es allerhöchste Zeit, dass wir heute gemeinsam ein deutliches Zeichen an die Bevölkerung senden. Was wir brauchen, ist, in allen Bereichen eine deutliche Verhaltensänderung. Es geht darum, dass wir 80 Prozent der Kontakte der Menschen untereinander für die nächsten vier Wochen unterbrechen. Nur dann haben wir eine Chance, das Infektionsgeschehen deutlich zu reduzieren.

Das ist auch die Antwort auf die vielen Fragen, die wir alle miteinander bekommen: Warum gerade die Gaststätten? Wir haben Hygienekonzepte, wir haben uns so viel Mühe gegeben. Warum der Sport? Es ist so wichtig, dass sich die Kinder und Jugendlichen bewegen. Warum in Sachsen die Kosmetikstudios und nicht wie in Sachsen-Anhalt, wo sie offenbleiben können? Warum die Musikschulen?

Meine Damen und Herren, mit dem, was wir tun, ist an keinem Punkt ein Vorwurf oder ein Misstrauen verbunden. Diese Leute haben Großartiges geleistet. Wir haben gemeinsam in den vergangenen Monaten die Möglichkeit gegeben, dass das alles stattfinden kann, aber es reicht für dieses neue Infektionsgeschehen nicht mehr aus.

Wir können nur 20 Prozent der aktuellen Corona-Fälle erklären und sagen, wo sie herkommen. Das Gespräch mit einem Gesundheitsamt – und Sie können jedes hier in Sachsen, aber auch in anderen Regionen aussuchen – bringt immer den gleichen Befund. Bei einem kleinen Teil können die Kolleginnen und Kollegen sagen, wo die Erkrankungen herkommen. Meistens sind es Familienfeiern, oft ist es dort, wo Menschen ganz eng zusammen sind. Aber bei dem übergroßen Teil, bei 80 Prozent, kann man das nicht mehr sagen.

Hinzu kommt, dass 40 Prozent aller positiv getesteten Personen keine Symptome haben, diese Krankheit gar nicht spüren. Das sind oft Fälle, wo es eine positive Infektion gab, die Kontaktpersonen abgefragt werden und die Leute aus allen Wolken fallen, wenn ihnen gesagt wird: Sie haben an dem und dem Tag mit Herrn X und Frau Y Kontakt gehabt; die sind positiv getestet. Bitte gehen Sie jetzt ebenfalls zu einem Corona-Test. Dann kommt die Nachricht: Doch positiver Test, obwohl die Leute ganz sicher sind, weil es ihnen gut geht: Ich bin negativ, mir kann nichts passieren.

Diese Menschen, die es nicht wissen und sich frei bewegen und interagieren, sind trotzdem ansteckend und stecken andere Personen an. Das ist der Grund dafür, warum man 80 Prozent der Fälle derzeit nicht mehr erklären kann.

Das Ganze wäre noch einfach, wenn wir bei Zahlen wären wie im Frühjahr, wo pro Landkreis eins, zwei, drei, vier Corona-Patienten am Tag waren. Das Gesundheitsamt ruft an: Mit wem hatten Sie Kontakt? Dann kommen zwei, drei, vier, fünf Namen, die man abtelefoniert, und dann ist die Sache erledigt. Wir hatten in der vergangenen Woche 1000 Personen pro 24 Stunden. Wir hatten nicht zwei, drei oder vier Kontaktpersonen, sondern oft, sehr, sehr oft, 20, 30 Personen, manchmal viel, viel mehr. Das heißt, innerhalb von 24 Stunden müssen 20000 bis 30000 Menschen verlässlich angerufen werden, muss mit ihnen gesprochen werden, muss ihnen die Situation erklärt werden, müssen sie zum Test geschickt werden, muss eine Quarantäne ausgesprochen werden. Das, meine Damen und Herren, ist eine Zahl, die nicht gemanagt werden kann. Wir werden, wenn wir bei diesen Zahlen bleiben, die Kontaktnachverfolgung nicht klären können. Damit wird diese Lawine immer, immer größer werden. Dann werden wir die Kontrolle darüber verlieren.

Deswegen müssen wir jetzt so entschieden handeln, versuchen, 80 Prozent der Kontakte zu unterbrechen und Orte versuchen zu schließen und zu meiden, an denen diese Kontakte stattfinden, auf dem Weg dahin, auf dem Weg zurück. Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir sind nicht dafür gemacht, dass wir den Abstand von 1,50 Meter halten, sondern wir treffen unsere Freunde, wir treffen unsere Bekannten. Es gibt diese Begegnungen. Durch die beschriebene Situation sorgt das dafür, dass das Infektionsgeschehen derzeit so außer Kontrolle geraten ist, wie es ist.

Deswegen noch einmal: Keiner hat bei seinem Hygienekonzept einen Fehler gemacht, aber wir müssen die Zahl jetzt so drastisch reduzieren, damit wir überhaupt eine Chance haben, durch diese Zeit zu kommen, mit der jetzigen Kapazität an Krankenhäusern, an ITS-Betten, an Mitarbeitern in den Gesundheitsämtern und auch an Testkapazitäten.

Die Situation ist dramatisch, aber sie ist immer noch händelbar. Die Frauen und Männer in den Gesundheitsämtern leisten Übermenschliches. Die Gespräche sind jedes Mal beeindruckend, wie klar diesen Leuten ist, dass sie nicht aufgeben, dass sie nicht verlieren können. Deshalb ist es für uns, Frau Köpping und die vielen Kolleginnen und Kollegen der Staatsregierung, eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass Mitarbeiter des Freistaates in den Gesundheitsämtern helfen werden. Wir sind der Bundeswehr dankbar, dass sie ebenfalls ihren Beitrag leistet. Und auch das ist eine beeindruckende Erfahrung, dass das Landesamt der Evangelischen Kirche in Sachsen sich gemeldet hat und gefragt hat: An welchen Stellen in den Gesundheitsämtern können unsere Kolleginnen und Kollegen mitarbeiten? Auch wir wollen mithelfen.

Ich bin der Personalvertretung auch hier bei uns in der Staatsregierung dankbar, dass sie das Ganze unterstützt und mitmacht. Dadurch wollen wir versuchen, auch bei diesen großen Zahlen das Ganze noch im Griff zu behalten.

Wir haben nur eine Möglichkeit zu helfen. Das Erste ist, die Zahl der Kontaktpersonen drastisch zu reduzieren, und zweitens, die absolute Zahl der Fälle zu senken.

Jetzt gibt es Menschen, die sagen, lasst es laufen. Wir müssen so oder so mit Corona leben. Das stimmt, wir werden mit diesem Virus leben, so oder so. Aber wir haben die Möglichkeit, die Dinge zu gestalten, und wir wissen, dass wir durch den medizinischen Fortschritt anders als bei der Spanischen Grippe vor 100 Jahren mehr Möglichkeiten haben, mit dieser gefährlichen Erkrankung umzugehen. Wir müssen dahin kommen, dass Medikamente und Impfungen verfügbar sind.

Es gibt Menschen, die sagen, es ist nichts anderes als eine Grippe. Das ist natürlich Unfug, weil wir mit der Grippe, meine Damen und Herren, jahrzehntelange Erfahrungen haben und wissen, wie gefährlich sie ist. Es gibt Impfstoffe und Kampagnen der Behörden und Unternehmen zum Impfen. Nur deswegen ist die Zahl der Schwerstkranken und Toten in jeder Grippesaison so niedrig, wie sie jetzt ist. Die Zahlen sind trotzdem noch extrem erheblich. Ohne Pandemiepläne und ohne Impfungen wäre die Zahl noch um ein Vielfaches höher. Die Grippe ist das beste Beispiel dafür, dass man es nicht laufen lassen kann. Aber diese Krankheit ist nicht mit einer Grippe zu vergleichen, weil es keinen Impfstoff, keine Medikamente und keine Erfahrungen gibt, und weil jeder der 7 Milliarden Menschen auf der Welt potenziell ansteckungsgefährdet ist und diese Krankheit bekommen kann.

Es gibt Menschen, die sagen: Dann sterben die Alten eben, waren doch eh nur alte Leute.

Das sind die Gleichen, die auch »absaufen, absaufen« oder »ausschwitzen, ausschwitzen« skandieren.

Es gibt Menschen, meine Damen und Herren, die sagen, man kann es nicht ändern. Die finde ich kleinmütig. Es gibt Menschen, die sagen, es ist bedauerlich, wenn es so kommt. Denen würde ich sagen, ihr habt eine Chance, etwas dagegen zu tun, und wir haben es im Frühjahr schon einmal gezeigt. Und es gibt Menschen, die sagen, wir werden es verhindern, dass Tausende sterben. Und das, meine Damen und Herren, sind wir. Wir werden dafür sorgen, dass es nicht so kommt, dass es keine riesige Lawine gibt. Wir handeln verantwortlich. Dieser Sächsische Landtag ist dafür gewählt, genau diese Entscheidungen zu treffen. Deswegen sprechen wir darüber. Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar für ihren Entschließungsantrag, der eine klare Meinung hat.

Herzlichen Dank.

Es geht noch einmal darum, dass wir keine ungesteuerte Entwicklung haben, dass wir gemeinsam handeln und der Bevölkerung deutlich sagen: Sie müssen sich diese vier Wochen jetzt einmal wirklich darauf konzentrieren. Wir müssen mit Bürgermeistern und Unternehmern darüber sprechen, denn, meine Damen und Herren, die Erfahrungen hier bei uns, aber auch in anderen Ländern, sind ganz eindeutig: Wenn die Zahl der infizierten Personen zu groß geworden ist, dann kommt diese Krankheit, weil sie so extrem ansteckend ist, überall an.

Wir sehen es gerade in den Bereichen, die besonders gut vorbereitet sind und die sich darin auskennen: Auch sie sind nicht gewappnet. In den Pflegeheimen, in den Krankenhäusern, in denen derzeit die meiste Erfahrung herrscht, haben wir eine ganze Reihe von Ausbrüchen. Das werden Sie erleben, wenn es in Industrieunternehmen, in Handwerksunternehmen, in den Familien, in den Vereinen weitergeht. Deshalb geht es jetzt darum, die Dinge zu reduzieren und deutlich zurückzufahren, damit genau das nicht passiert.

Unser Wille ist es, dass Schulen und Kindergärten offen bleiben, weil sie für die Bildung so extrem wichtig sind, dass das wirtschaftliche Leben weitergehen kann. Deshalb haben wir eine Entscheidung getroffen, die sich von der früheren unterscheidet.

Die Wissenschaft wollte viel mehr. Wir tun aus deren Sicht nicht zu viel, sondern eher noch zu wenig. Es ist im Hinblick auf die Infektionslage im Freistaat Sachsen mit einer Inzidenz von 114 Erkrankten in den letzten sieben Tagen auf 100000 Menschen der Bevölkerung im Vergleich zu Sachsen-Anhalt oder zu Thüringen mit der Hälfte hoffentlich auch erklärlich, warum bei uns mehr Dinge für die kommende Zeit derzeit untersagt sind als vielleicht in diesen Ländern. Wir müssen jetzt, meine Damen und Herren, sehr konsequent sein, damit wir hier eine Chance haben, das Ganze im Griff zu haben.

Wir können uns auf beeindruckende Persönlichkeiten in den Gesundheitsämtern stützen. Wir können uns auf Bürgermeister und Landräte stützen, die in dieser Krise zeigen, wie sie Verantwortung übernehmen. Wir können uns auf die Medizinerinnen und Mediziner, die Pfleger und Krankenschwestern in unserem Gesundheitssystem stützen, die eine hervorragende Arbeit leisten. Bei dem letzten Besuch in Chemnitz wurde gefragt: »Können Sie sich vorstellen, auch Patienten aus anderen Regionen aufzunehmen?« Selbstverständlich können wir das! Wir werden das in besonderer Weise tun, wenn es um tschechische und polnische Bürger geht. Der Arzt hat gesagt: »Was soll ich meinen Mitarbeitern sagen, die aus Polen oder Tschechien jeden Tag zur Arbeit kommen? Ich sage, bitte kommt zu uns, wir brauchen Euch!« Und dann ist es ein tschechischer oder ein polnischer Patient. Dann müssen wir, dann wollen wir handeln. Meine Damen und Herren, ich möchte gern, dass wir die Region auf der anderen Seite der Grenze so behandeln und so stellen, als wäre es ein Landkreis oder eine Stadt im Freistaat Sachsen. Wir haben Jahrzehnte darauf gehofft, dass diese furchtbare Grenze wegkommt. Wir haben dafür jahrelang gearbeitet, dass es ein Vertrauen gibt, ein enges Miteinander. Jetzt ist es so. Jetzt ist die Frage in einer besonderen Krise, ob und wie man sich hilft oder ob man sich nur mit dem Rücken anschaut. Nein, meine Damen und Herren, wir sollten solidarisch sein. Die Leute in Tschechien und Polen – in unserer Grenzregion – sind unsere Leute. Wir sind für sie da, genauso wie sie uns helfen würden, wenn es andersherum einmal Probleme gibt, meine Damen und Herren.

Wir haben in der Staatsregierung, in der Koalition in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen und in einer, wie ich finde, sehr kollegialen, offenen Art und Weise. Ich möchte mich für das Vertrauen und die Arbeit herzlich bedanken.

Wir haben gemeinsam mit den anderen Bundesländern und dem Bund darüber gesprochen, wie die Dinge in Deutschland organisiert werden können. Wir brauchen ein beherztes Agieren aller Beteiligten. Der eine oder andere ist etwas getroffen, weil die erste Welle glimpflicher verlaufen ist als man es befürchtet hat. Das haben wir aber auch an anderen Stellen schon gesehen. Es darf nicht dazu führen, dass man ängstlich oder kleinmütig wird oder zögert. Wir brauchen eine Vorbereitung, dass Krankenhäuser Kapazitäten vorhalten können. Das muss nicht die alte Leerbettpauschale sein, die wir gehabt haben. Wir spüren in allen Gesprächen mit den Krankenhäusern im Land, dass sie daraufsetzen. Die Bundesregierung muss hier schnell handeln – genauso wie bei der Pflegekräfteuntergrenzenverordnung. Diese Instrumente, die wir uns im Frühjahr gegeben haben, brauchen wir jetzt noch dringender. Wir brauchen eine schnelle Lösung für die Unternehmen, für die Vereine, für die Einrichtungen, die jetzt aufgrund der beschriebenen Maßnahmen, aufgrund dieser besonderen Situation ihre Arbeit einstellen und schließen müssen. 75 Prozent des Umsatzes im Vergleich zum November 2019 ist ein Angebot, mit dem wir Vieles abfedern können. Wichtig ist aber, dass das Ganze schnell, verlässlich und so weit wie möglich unbürokratisch geht, damit wir zusammenkommen.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal sagen. Wir haben es alle miteinander in der Hand, wie die kommenden sechs Monate verlaufen! Entweder wir schaffen es, diese Infektionszahlen deutlich zu reduzieren, dann wird wieder Vieles möglich sein. Oder wir schaffen es nicht und gehen einen Weg wie Belgien, Frankreich, Polen oder Tschechien. Sie alle haben verfolgt, wie dort die Infektionszahlen dramatisch zugenommen haben, wie dort zu Ausgangssperren, zu Schulschließungen, manchmal sogar zur Schließung von Betrieben gegriffen worden ist, um die Situation halbwegs in den Griff zu bekommen. Es ist am Ende für alle immer das Gleiche, und die Diskussion endet auch an dieser Stelle: Wenn die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet ist, ist auch der letzte Populist der Meinung, es muss sich etwas bewegen.

Wir haben aber jetzt die Möglichkeit, die Sachen zu klären, bevor die Krankenhäuser überlaufen. Allerdings haben wir einen Vorlauf von 14 Tagen bis drei Wochen. Die Dinge, die heute in Krankenhäusern zu sehen sind, sind vor 14 Tagen entstanden. Wer vor einer Woche mit den Leitern der Kliniken gesprochen hat, wird festgestellt haben, dass sie relativ entspannt waren. Das hat sich innerhalb von sieben Tagen dramatisch verändert. Das gestrige Gespräch mit den Krankenhausleitern hier in der Region und in Ostsachsen war ein ganz anderes als vor einer Woche. Sie werden erleben, wie die Zahl in den nächsten ein bis zwei Wochen noch einmal dramatisch zunimmt. Wir haben die Chance, dass es Ende November anders wird. Das ist unser Ziel. Dafür arbeiten wir. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.

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