05.09.2018

Regierungserklärung »Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat«

Michael Kretschmer hat am 5. September 2018 im Sächsischen Landtag eine Regierungserklärung zum Thema »Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat« abgegeben.

Die Regierungserklärung finden Sie im Mitschnitt der Tagesschau ab Minute 14:22 im Video.

Video direkt auf YouTube aufrufen und zur Regierungserklärung in Minute 14:22 springen

»Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat«

Regierungserklärung von Ministerpräsident Michael Kretschmer vor dem Sächsischen Landtag am 5. September 2018

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Landtagspräsidenten sehr dankbar, dass er diese Sitzung noch einmal mit einer Würdigung und mit einem Gedenken begonnen hat.

Wir haben gemeinsam mit Barbara Ludwig, der Oberbürgermeisterin von Chemnitz, versucht, mit der Familie des Getöteten Kontakt aufzunehmen, um unser Mitgefühl auszusprechen, um Hilfe anzubieten. Wir haben verstanden und auch akzeptiert, dass die Familie anonym bleiben möchte, dass sie ihren Schmerz und das, was daraus folgt, für sich selbst verarbeiten möchte. Ich finde es richtig, wenn sich alle daran halten. Deswegen war diese Einordnung sehr wichtig. So wollen wir, denke ich, auch diese Debatte führen.

Meine Damen und Herren! Das, was in dieser Nacht passiert ist, ist ein furchtbares Tötungsdelikt, das durch nichts zu entschuldigen ist. Es muss mit aller Konsequenz und Härte aufgeklärt werden. Bereits in der Nacht wurden zwei Tatverdächtige festgenommen. Mittlerweile gibt es drei Haftbefehle. Man sieht, die Justiz, die Polizei arbeiten intensiv daran. Das ist auch notwendig.

Mir geht es darum, dass die Umstände dieser Tat möglichst schnell aufgeklärt werden und damit auch Klarheit herrscht über das, was derzeit im Internet an Falschinformationen, an Lügen, an Propaganda kursiert, die auch dazu geführt haben, dass in den Tagen danach eine so große Aufregung in der Stadt war und von denen wir heute wissen, dass sie zum großen Teil nicht der Wahrheit entsprechen.

Ich bin den vielen Beamtinnen und Beamten der sächsischen Polizei, denen des Bundes und den Kollegen aus anderen Bundesländern dankbar, die in den Tagen danach und bis heute die Sicherheit in der Stadt Chemnitz gewährleisten. Diese Kollegen haben alle unsere Achtung verdient, genauso wie der Innenminister. Herzlichen Dank, für Ihre Arbeit.

Meine Damen und Herren! Es ist keine Frage, dass der Rechtsstaat durchgreift, dass wir als Staat das Gewaltmonopol haben, dass wir die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten und dass der Föderalismus gerade im Bereich der Zusammenarbeit der Polizei wirkungsvoll und stark ist. Wenn mehr Polizei notwendig ist, dann wird sie angefordert und dorthin verlegt.

Wir haben gesehen, dass die Mobilisierungswirkung im Internet auch durch diese Propaganda, die vorhanden war, und durch die rechte Hooliganszene höher war, als man es bisher kannte. Deswegen ist darauf auch reagiert worden. Es ist überhaupt keine Frage: Es wäre besser gewesen, am Montagabend wären 100, 200 Polizisten mehr da gewesen. Die, die da waren, haben aber mit einem exzellenten Einsatz die Sicherheit in Chemnitz gewährleistet.

So sehr klar ist und es keinen Zweifel daran geben kann, dass dieses Tötungsdelikt durch nichts zu entschuldigen ist, ist auch klar, dass das, was danach passiert ist - Angriffe auf Journalisten, auf Menschen, die als Ausländer erkennbar oder als solche vermutet werden - nicht akzeptiert, von uns mit der gleichen Intensität verfolgt wird und die Leute zur Rechenschaft gezogen werden. Das gilt gerade auch für diejenigen, die mit Hass, Propaganda und dem Hitlergruß durch Chemnitz gezogen sind. Das werden wir nicht zulassen, meine Damen und Herren.

Der Generalstaatsanwalt hat die Ermittlungen an sich gezogen; das ist richtig. Wir haben im Nachgang dieser Tat ein Erlebnis gehabt: Ein Justizbeamter hat den Haftbefehl kopiert und ins Internet gestellt. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Das ist ein Straftatbestand, das ist eine ehrenrührige Tat für einen Staatsbeamten, und es ist eine Gefährdung des Gerichtsverfahrens. Deswegen ist es richtig, dass auch diese Tat mit aller Härte verfolgt wird und auch dieser Beamte zur Rechenschaft gezogen wird, meine Damen und Herren!

Zwei Dinge sind von besonderer Bedeutung und treiben jetzt die Menschen in Chemnitz – wie wir es bei dem Sachsengespräch erlebt haben – in besonderer Weise um: Das eine ist die Berichterstattung. Es verwundert nicht, dass diejenigen, die an den Geschehnissen sehr nah dran sind und die aus Chemnitz kommen, besonders objektiv und konkret darüber berichten. Aber was verwundert und was auch aus meiner Sicht nicht in Ordnung ist, ist, dass diejenigen, die besonders weit weg waren, ein besonders pauschales, hartes und oft falsches Urteil über diese Stadt treffen, meine Damen und Herren!

So können wir heute sagen, dass durch unser gemeinsames Agieren und durch diese Berichterstattung sowie auch dadurch, dass verantwortliche Journalisten vor Ort gewesen sind, die als Lügenpresse beschimpft worden sind – weswegen ich mich ganz deutlich dagegen verwehre und diesem Begriff entgegentrete –, klar ist: Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz. Das sind Worte, die das, was dort passiert ist, nicht richtig beschreiben. Es ist auch notwendig, dass man das in dieser Regierungserklärung genau so sagt, meine Damen und Herren!

Weder waren es alle Chemnitzerinnen und Chemnitzer, noch war es eine Mehrheit, die dort ausfällig geworden ist. Aber diejenigen, die es getan haben, sind schlimm genug, und denen sagen wir auch den Kampf an.

Das ist der zweite Punkt, in dem wir uns in der Sächsischen Staatsregierung und mit der Frau Oberbürgermeisterin sowie mit vielen, die ich in Chemnitz getroffen habe, einig sind. Wir werden den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Aufarbeitung dieser Situation nur leisten können, wenn wir nicht pauschalisieren, sondern wenn wir differenzieren und wenn wir klar sagen, was nicht geht und wer was getan hat. Das nimmt auch diejenigen in Schutz – stellt sie nicht an den Pranger –, die aus Wut, aus Enttäuschung oder aus Mitleid mit auf die Straße gegangen sind und die sich artikulieren wollen. Die sind nicht rechtsextrem, und vor die stellen wir uns, meine Damen und Herren!

Ich bin der festen Überzeugung, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie ist. Deswegen müssen wir mit aller Kraft gegen diese rechtsextremistischen Tendenzen arbeiten. Ich habe das als junger Stadtrat in Görlitz erlebt. Ich habe auch erlebt, wie es gelungen ist, durch Zusammenhalt der Gesellschaft und die Zusammenarbeit von Kommune, Bürgermeister, Stadträten, Lehrern, Polizei, Justiz und in Vereinen diesen Rechtsextremisten in meiner Heimatstadt den Kampf anzusagen und sie deutlich zurückzudrängen. Das ist das, was uns als Demokraten, meine Damen und Herren, auch vereinen muss.

Es ist klar: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus muss aus der Mitte der Gesellschaft heraus geführt werden. Deswegen müssen wir diejenigen ansprechen, die als acht- und ehrbare Bürger in diesem Land leben. Diese müssen wir zu Verbündeten machen, und die müssen wir in diesen Kampf mitnehmen.

Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus findet im Freistaat Sachsen seit den 1990er Jahren statt. Viele Menschen hier in diesem Saal haben ihren Anteil daran. Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben von dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ profitiert. Viele Menschen engagieren sich in Bündnissen für Demokratie und Toleranz. Viele Menschen machen sich Gedanken und engagieren sich mit privaten Initiativen für Demokratie, gegen Extremismus, für Flüchtlinge – das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen. Denn auch diesbezüglich sind in den vergangenen Tagen viele falsche Dinge erzählt worden. Es war der Innenminister, Heinz Eggert, der die Soko Rex gegründet hat und damit als Erster den Kampf gegen den Rechtsextremismus im Freistaat Sachsen eingeleitet hat. Danach folgten viele Initiativen; das muss man an dieser Stelle einmal deutlich sagen.

Von vielen Journalisten, auch von politischen Weggefährten, werde ich auf die Frage angesprochen, wie das denn mit dem Satz sei, dass die Sachsen gegen Rechtsextremismus immun seien. Meine erste Antwort darauf lautet: Erstens, er ist 20 Jahre alt. Zweitens mache ich ihn mir nicht zu eigen; ich habe eine ganz andere Meinung. Drittens würden Sie Kurt Biedenkopf sehr unterschätzen, wenn Sie diesen großartigen Staatsmann und Bürger dieses Landes verdächtigen würden, dass er der Meinung sei, irgendjemand könnte irgendwo in Deutschland immun gegen Rechtsextremismus sein. Das ist doch ganz klar, und das wissen auch alle, die dabei gewesen sind.

Wir haben mit einer ganzen Reihe von Initiativen den Kampf gegen Rechtsextremismus in den vergangenen 28 Jahren geführt. Dazu gehört zunächst einmal das Programm „Weltoffenes Sachsen“. Seit 2005 sind Initiativen und Bewegungen mit einem Volumen von mittlerweile 40 Millionen Euro vor Ort gefördert worden. Diese Zahl allein zeigt, wie wichtig uns dieses Engagement gewesen ist. Wie werden auch in den kommenden Jahren noch mehr Geld dafür ausgeben, weil diese Aufgabe nicht zu Ende ist und wir noch mehr machen müssen.

Wir haben mit dem Demokratiezentrum mit der Staatsministerin für Integration und Gleichstellung eine feste Struktur geschaffen, um die mobile Beratung zu stärken im Kontext der Schule, der Opferberatung sowie der Ausstiegsberatung. Wir haben mit der Koordinierungs- und Beratungsstelle »Radikalisierungsprävention KORA« eine Anlaufstelle für diejenigen geschaffen, die durch islamischen Extremismus gefährdet sind. Wir haben in der Landeszentrale für politische Bildung engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gerade jetzt noch einmal den Kampf gegen die Reichsbürgerbewegung aufgenommen haben. Wir haben im Landeskriminalamt die Soko Rex, die zwischenzeitlich in das operative Abwehrzentrum übergegangen ist. Auch haben wir in der Justiz die Zentralstelle „Extremismus Sachsen“ bei der Generalstaatsanwaltschaft gegründet.

Wir haben eine ganze Reihe von Dingen jetzt noch einmal neu auf den Weg gebracht, die gerade die politische Bildung in der Schule verstärken soll. Hierzu möchte ich Ihnen von meinem Besuch in einer Oberschule in Chemnitz berichten, wo ich ebenfalls in der vergangenen Woche war. Das ist eine wunderbare Einrichtung in einem schwierigen Umfeld. Es gibt dort viele Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen und viele Kinder mit Migrationshintergrund, aber ein Lehrerkollegium mit einer Direktorin, die Haltung hat und die weiß, was Demokratie bedeutet, die einen Anspruch an ihre Arbeit und an ihren Leistungsethos hat. Sie hat es geschafft, mit ihren Kindern und Jugendlichen gemeinsam eine Schulcharta zu entwickeln, wie in dieser Schule gemeinsam mit Konflikten umgegangen wird und wie man Dinge gemeinsam entscheidet. Das ist vorbildlich. Davon brauchen wir mehr. Diese Menschen müssen wir unterstützen, meine Damen und Herren!

Es ist vollkommen klar, dass der Aufwuchs bei der Justiz mit zusätzlichen Staatsanwälten und Richtern sowie der Aufwuchs bei der Polizei mit 1000 zusätzlichen Beamten auch dazu dient, den Kampf gegen den Extremismus erfolgreich führen zu können. Deswegen will ich diesen Punkt noch einmal betonen.

Wir müssen aber feststellen, dass es trotz dieses umfangreichen Pakets und dieser langwierigen Arbeit der vielen Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren, nicht gelungen ist, den Rechtsextremismus endgültig in die Schranken zu weisen. Genau deshalb muss es heute darum gehen, nicht nur die Aufarbeitung der letzten zwei Wochen zu gewährleisten, sondern auch darüber zu sprechen, was in der Zukunft kommen soll.

Meine Damen und Herren, der Kampf gegen Rechtsextremismus ist nur als Kampf für die Demokratie zu gewinnen.

Deswegen ist es so entscheidend, dass wir die Breite der Bevölkerung mitnehmen.

Deswegen ist es auch so entscheidend, dass wir in der Kommunikation wirklich differenziert argumentieren. Ich wünsche mir, dass das, was wir mit dieser neuen Staatsregierung begonnen haben und was Stanislav Tillich schon angefangen hat, aber was wir jetzt in die Breite gezogen haben – mit Sachsengesprächen durch das Land zu gehen, Menschen zuzuhören, ihre Argumente und Sorgen, auch ihre Ängste und ihren Protest aufzunehmen und ihn in unsere politische Arbeit einzubinden – erfolgreich fortführen können.

Deswegen freue ich mich, dass ich mit Heinz Eggert, Frau Prof. Astrid Lorenz, Sebastian Reißig und Bernd Stracke vier Persönlichkeiten gewonnen habe, die heute auch anwesend sind, die uns bei dieser wichtigen Arbeit unterstützen werden. Alle vier haben sich bereit erklärt, jetzt auch mit eigenem Engagement ins Land zu gehen, gemeinsam mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, mit Vereinsvorsitzenden Dialoge zu führen. Wir brauchen eine breite Bewegung, wir brauchen viele Menschen, die diese Gespräche führen, die argumentieren, die aufnehmen, die für unsere Demokratie werben, die aber auch eine Rückmeldung geben über das, was nicht funktioniert, was wir ändern müssen, meine Damen und Herren; denn das ist auch unsere Aufgabe.

Wir sind uns einig, dass der Freistaat Sachsen einen Opferschutzbeauftragten bekommen soll, der bei der Staatsregierung angesiedelt ist und für diejenigen da ist, die bei Straftaten und extremistischen Vorfällen verletzt werden und zu Schaden kommen – für die Angehörigen ein vertrauensvoller Ansprechpartner, der in schwierigen Lagen helfen soll. Ebenso soll es bei den fünf Polizeidirektionen Ansprechpartner geben, die dafür da sind.

Meine Damen und Herren! Ich warne aber auch in diesem Zusammenhang und gerade vor dem Hintergrund der Berichterstattung der letzten 14 Tage vor einer Überheblichkeit und überheblichen Urteilen über die Ostdeutschen und die Menschen in den neuen Ländern. Ich persönlich glaube, dass die neuen Länder in mancher Hinsicht Seismograf dafür sind, was in Deutschland gerade passiert und was auch in einigen Jahren in ganz Deutschland Thema und Stimmung sein wird. Ich erinnere mich an die Diskussion im Jahr 2015, an unsere Einschätzung, was zur Regelung und zur Bewältigung der Asyl- und Flüchtlingsfrage zu klären ist, wie damals kopfschüttelnd aus anderen Teilen der Bundesrepublik über uns gesprochen wurde.

Wenn man das vergleicht mit dem, was heute in Deutschland Recht und Konsens ist, muss man sagen: Das meiste von dem haben wir vorausgesehen. Deswegen ist mein Aufruf: Es ist Zeit zum Handeln in ganz Deutschland, es geht um unsere Demokratie, wir müssen gemeinsam anpacken! Dazu brauchen wir zuallererst einen parteiübergreifenden Konsens zur Migrationspolitik. Ich habe in den vergangenen Jahren und jetzt auch in Chemnitz kaum jemanden getroffen, der nicht damit einverstanden ist, dass Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten, die in wirklicher Not sind und geschützt werden müssen, nicht auch hier in Deutschland geschützt werden sollten, dass wir uns um diese Leute kümmern sollten. Der überwiegende Teil der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist mit dem, was im Grundgesetz steht, einverstanden. Aber er hat ein Problem mit der Art und Weise, in der wir damit umgehen und wie wir damit umgehen, wenn jemand dieses Asylrecht ausnutzt und beispielsweise straffällig wird.

Deswegen muss die Aufgabe darin bestehen, in der Bundespolitik und gemeinsam mit den Bundesländern dafür zu sorgen, dass wir gerade bei der Frage des Außengrenzenschutzes einen schnellen Konsens bekommen, dass wir bei schwierigen Fragen wie der Abschiebung zu wirkungsvollen Regelungen kommen, dass wir bei denjenigen, die straffällig werden, tatsächlich handeln können.

Das alles sind Dinge, die aus meiner Sicht völlig unstreitig sind, wenn man im Groben darüber redet. Es muss uns gelingen, hier auch wirkungsvoll Regelungen zu treffen, dass die Menschen sehen: Hier bewegt sich tatsächlich etwas. Bis zur Ausweisung der sicheren Herkunftsländer hat es jetzt drei Jahre gedauert; das ist nicht in Ordnung. So etwas muss schneller gehen, wir brauchen diese Regelung schnell, meine Damen und Herren.

Deutschland braucht, damit die Akzeptanz für den Rechtsstaat und für die Rechtsstaatlichkeit auch weiterhin erhalten bleibt, einen parteiübergreifenden Konsens und eine Einsicht, dass bei vielen anderen Bereichen außerhalb der Asyl- und Flüchtlingspolitik, beim Planungsrecht, bei Wirtschafts- und Sozialfragen schneller Rechtsanpassungen passieren müssen. Es dauert zu lange, und das gefährdet die Akzeptanz für unseren Rechtsstaat; das ist nicht gut. Wir müssen den Rechtsstaat starkmachen, und deswegen ist es notwendig, dass die Politik auf Entwicklungen reagiert, Gesetze anpasst und dafür sorgt, dass sich das, was Volkes Meinung ist, auch am Ende bei Rechtsentscheidungen durchsetzt, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, meine Damen und Herren.

Um den Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu gewinnen, ist aber auch ein Verständnis von Demokratie und Meinungsstreit notwendig. Das soll durch diese Gespräche gefördert werden. Das soll in den Schulen gefördert werden. Aber ein Ort dafür ist auch dieser Landtag und sind die Debatten, die wir untereinander führen, wo sich zeigt, ob wir uns als Demokraten gegenseitig unsere demokratische Grundhaltung absprechen oder dass es besser ist, sich auch in schwierigen Fragen in der Sache zu streiten, als sich mit Vorurteilen zu begegnen. Ich glaube, meine Damen und Herren, dass es zu einer Demokratie dazugehört, dass es unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Interessen, unterschiedliche politische Anschauungen und Weltanschauungen gibt. Das ist nicht schlimm, denn es gehört dazu. Deswegen muss man anständig miteinander umgehen. Das ist auch unsere Aufgabe, und die können wir hier vorleben.

Meine Damen und Herren! Es ist klar, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt. Deswegen ist auch so entscheidend, dass wir eine Justiz haben, die handlungsfähig ist, dass wir eine Polizei haben, die in Stärke vorangehen kann, dass wir ein Polizeigesetz haben, das wirkungsvoll ist. Aber wir brauchen auch eine Verständigung in der Bevölkerung, wenn Personen angegriffen werden, wie wir es jetzt in Chemnitz schon erlebt haben und wie ich es dort erzählt bekommen habe, Menschen, die seit fünf, sechs Jahren in diesem Land leben, so wie eine wunderbare Frau aus China, die mir berichtet hat, dass sie in den fünf Jahren nicht ein einziges negatives Erlebnis hatte, dass Chemnitz ihre Heimat ist, dass sie sich hier wohlfühlt und dass sie in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Demonstrationen und der Aggression, die dabei geschürt worden ist, von einigen der Extremisten angegriffen worden ist und sehr schlimme Erlebnisse hatte.

Meine Damen und Herren! Das ist natürlich eine Frage von Polizei und Justiz, aber es ist auch eine Frage von uns allen. Jeder von uns muss sich davorstellen, wenn andere Menschen angegriffen werden. Das ist auch eine Frage von Anstand und Zivilcourage. Die müssen wir einfordern, und wir müssen die Menschen dazu ermutigen. Das ist keine Aufgabe, die der Staat allein bewältigen kann, sondern das muss auch aus der Bevölkerung heraus geschehen.

Diese Zivilcourage ist gerade auch in Zeiten des Internets und der Fehlinformationen unumgänglich. Was sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat, ist aus meiner Sicht in einigen Teilen sogar beängstigend. Wir müssen erreichen, dass die Menschen in unserem Land, wenn sie Fehlinformationen hören, wenn sie Demagogie erleben, nicht abwinken oder weghören, sondern sich wirklich dem entgegenstellen, damit hier eine andere Diskussionskultur entsteht. Auch da kann die Politik eine ganze Menge tun, aber auch hier ist es eine Stimmung in der Gesellschaft, eine Haltung, die dem widerspricht, wenn wirklich jemand falsch Zeugnis redet und man das auch deutlich erkennt. Dafür brauchen wir das breite Verständnis in der Bevölkerung, meine Damen und Herren.

Wir werden sowohl bei der Polizei als auch bei der Justiz die Möglichkeiten erweitern und verbessern, dort auf Falschinformationen zu reagieren. Ich habe auch in Chemnitz wieder gehört, dass gerade der Polizei und der Justiz – den Gerichten, der Staatsanwaltschaft – eine große Achtung entgegengebracht wird, dass man ein großes Vertrauen in diese Arbeit hat. Erstens teile ich dies und bin zweitens der Meinung, dass wir diesen Institutionen auch die Möglichkeit geben sollten, noch stärker darüber zu informieren, was tatsächlich passiert, und auch zu widersprechen, wenn Falsches behauptet wird. Genauso ist es wichtig – das sehen wir jetzt bei dem Fall in Chemnitz, aber auch bei dem Vorfall, den wir einige Wochen davor in Plauen hatten –, dass klar ist, wenn es Angriffe gibt, wenn Straftaten begangen werden, was schließlich herauskommt, wer wie verurteilt wird. Die Information darüber ist zentral für die Anerkennung des Rechtsstaates. Deswegen wollen wir dem Justizminister und dem Innenminister dabei helfen, dass sie mehr Möglichkeiten erhalten, auch diese Arbeit zu leisten.

Ich habe den Justizminister beauftragt, gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft eine Konzeption auszuarbeiten für eine Null-Toleranz-Strategie und für beschleunigte Verfahren.

Wir haben erlebt, wie es in Leipzig gelungen ist, innerhalb von 17 Stunden eine Person zu verurteilen, die im Stadion einen Hitlergruß gezeigt hat. Das ist ungefähr die Geschwindigkeit, die ich mir vorstelle; die auch Wirkung entfaltet und die für diese Straftat auch angemessen ist, meine Damen und Herren.

Wir erleben schon heute – und das haben wir auch in Chemnitz in erschreckender Weise erlebt –, wie aus Worten Taten werden. Der Angriff auf unbescholtene Bürger mit ausländischem Aussehen oder auf Journalisten oder auf Abgeordnetenbüros wird angestiftet durch Reden und durch Propaganda im Internet. Meine Damen und Herren, Begriffe, wie sie die AfD-Fraktion verwendet – »Merkels Gäste«, »Volksverräter« – sind nicht nur ehrverletzend, sie sorgen für eine Radikalisierung in der Gesellschaft.

Deswegen sage ich Ihnen ganz deutlich: Sie sind für die Spaltung in unserem Land zu großen Teilen verantwortlich. Sie sind für die Dinge, die in Chemnitz sind, mit -verantwortlich.

Ich muss Ihnen sagen: Nach dem Besuch der Bundeskanzlerin und Ihrem Auftritt vor dem Landtag habe ich gelernt, dass ich ein Volksverräter bin. Ich habe es in Chemnitz jemandem gesagt, der mich daraufhin angesprochen hat: Volksverräter, meine Damen und Herren, sind die Leute, die in Berlin-Plötzensee erhängt und erschossen wurden. Wer solche Begriffe verwendet, stellt sich außerhalb jeder Rechtsordnung.

Seit dieser Woche, meine Damen und Herren, kann auch jeder in unserem Land und darüber hinaus wissen, wessen Geistes Kind diese Partei ist und ihre führenden Funktionen. Wer sich gemeinsam bei einer Kundgebung in die erste Reihe stellt mit Leuten, die über Ausländer als »Gelumpe«, »Dreckszeug« oder »Viehzeug« sprechen, der stellt sich ebenfalls außerhalb jeder Rechtsordnung.

Deswegen ist ganz klar: Das ist keine Alternative für Deutschland, sondern diese Partei will eine Alternative von Deutschland. Dem werden wir uns alle entgegenstellen, meine Damen und Herren.

Lassen Sie mich zum Ende der Regierungserklärung noch einmal auf Chemnitz zurückkommen. Diese Stadt hat sich, wie keine andere im Freistaat Sachsen - und bis vielleicht auf Potsdam in den neuen Ländern - nach 1990 neu erfunden. Sie hat eine positive Entwicklung genommen, hat ein neues Gesicht bekommen.

Ich bin voller Begeisterung und Wertschätzung für das, was die Menschen in dieser Stadt erreicht haben und wie diese Stadt zum Blühen gekommen ist. Ich möchte Ihnen sagen: Ich vertraue der Oberbürgermeisterin.

Ich habe mit den Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat gesprochen, mit den Ortschaftsratsvorsitzenden. Ich habe mit den Abgeordneten aus Chemnitz diskutiert. Wir haben die Amtsleiter kennengelernt. Wir haben mit vielen Unternehmern, Vereinsvorsitzenden, den Kulturschaffenden gesprochen und ich bin der festen Meinung: Chemnitz ist bei diesen engagierten Menschen in guten Händen, meine Damen und Herren.

Die sächsische Staatsregierung unterstützt Chemnitz bei ihrer weiteren positiven Entwicklung.

Wir wollen, dass diese Metropole noch stärker wird, noch mehr zum Motor für Gesamtsüdwestsachsen. Das ist die Aufgabe. Sie haben auch das Potenzial dafür. Wir arbeiten dafür, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in der Stadt und hier im Land gestärkt wird, und wir wissen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Grundpfeiler unseres friedlichen Zusammenlebens sind. Der Satz des Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, ist 40 Jahre alt. Aber er ist heute genauso aktuell wie damals. Die Verteidigung der Demokratie, meine Damen und Herren, hat nie ein Ende, sie muss immer wieder neu errungen werden. Wir arbeiten daran, es ist eine große Aufgabe, wir haben viel zu tun. Packen wir es an.

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